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Ein Gast-Artikel von Rechtsanwalt Igor Posikow aus Hamburg

Eine Klausel in den Versicherungsbedingungen von Rechtsschutzversicherungen sorgt für Aufregung und Verwirrung. Viele Versicherte fürchten eine Zahlungsverweigerung besonders in den Fällen, auf die es wirklich ankommt. Es ist die Rede von der nachfolgenden Formulierung – der sogenannten Vorerstreckungsklausel, die in dieser oder ähnlicher Form in den aktuellen Versicherungsbedingungen der Rechtsschutzversicherer (ARB) zu finden ist.

Vorerstreckungsklausel
4.5. Sie haben keinen Rechtsschutz, wenn 4.5.1. eine Willenserklärung oder Rechtshandlung vor Beginn des Versicherungsschutzes den Verstoß nach Abschnitt A Ziffer 4.1.4 ausgelöst hat.

Doch wie ist diese Klausel zu verstehen?

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Auf den Eintritt des Schadens kommt es an

Es ist allgemein anerkannt, dass eine Rechtsschutzversicherung die vertraglichen Leistungen – dazu gehören je nach Fall auch:

  • Rechtsanwaltskosten
  • Gerichtskosten
  • Kosten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen
  • vorgerichtliche Kosten eines technischen Sachverständigengutachtens 
  • u.a.

im Rechtsschutzfall zu tragen hat. Einleuchtend ist, dass der Schaden in dem Zeitraum eintreten muss, in dem der Versicherungsschutz laut Vertrag besteht. Dies ist grundsätzlich der Fall nach Ablauf der dreimonatigen Wartezeit zum Beginn des Versicherungsvertrags. Probleme bereitet jedoch eine nicht ganz so eindeutige Konstellation.

Beispiel für den nicht eindeutigen Zeitpunkt des Schadeneintritts

Der Versicherungsnehmer (VN) schließt eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BUV) ab. Beim Vertragsschluss gibt er nicht an, dass er vor einigen Jahren an Alkoholismus litt. Ein Jahr später schließt er eine Rechtsschutzversicherung (RSV) ab. Als er wiederum nach einigen Jahren aufgrund eines Arbeitsunfalls so schwer an der Halswirbelsäule (HWS) verletzt wird, dass er nicht mehr seinem Beruf als Maler nachgehen kann, möchte er seine Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch nehmen. Diese fragt routinemäßig seine Gesundheitsdaten ab und stellt fest, dass er beim Vertragsschluss sein ehemaliges Alkoholproblem verschwieg. Die BU-Versicherung beruft sich auf das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung und verweigert demzufolge die Zahlung.

Der VN ist der Ansicht, dass die BU-Versicherung zahlen müsste. Schließlich war sein ehemaliges Alkoholproblem nicht die Ursache für seine letztendlich eingetretene Berufsunfähigkeit. Er beschließt einen Anwalt mit der Durchsetzung seines Anspruchs zu beauftragen.

Bundesgerichtshof entscheidet für den Kunden

Nun hängt es von der Antwort auf die Frage – Wann ist der Schaden eingetreten? – ab, ob die RSV die Kosten der Rechtsverfolgung übernehmen wird. Erfahrungsgemäß wird die Rechtsschutzversicherung mitteilen, dass der Schaden offensichtlich bereits bei der fehlerhaften Beantwortung der Gesundheitsfragen der BU-Versicherung bereits eingeleitet wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der VN nämlich noch nicht bei der RSV versichert. Diesen Zahn hat die Rechtsprechung den dahingehend argumentierenden Rechtsschutzversicherern schnell gezogen. Ein Beispiel hierfür ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.04.2013 – Az.: IV ZR 23/12.

Aus dem Urteil geht hervor, dass der Schadenszeitpunkt, nach der sich die Rechtsschutzversicherung zu richten hat, nicht auf die mangelhafte Information oder fehlerhafte Auskunft (Obliegenheitsverletzung) bei Vertragsaufnahme zu richten hat. Vielmehr richtet sich der Schadenseintritt nach dem Beginn der Streitigkeit über die Vertragserfüllung, -abwicklung oder -auflösung zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Dritten.

Dies bedeutet für das obige Beispiel, dass die RSV tatsächlich zu leisten hätte, da die BU-Versicherung während des laufenden Rechtsschutzversicherungsvertrags die Zahlung an den VN verweigerte. Weitere Informationen zum Thema Rechtsschutzversicherung vor Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen findest du im verlinkten Artikel.

Welche Wirkung hat nun die oben zitierte Vorerstreckungsklausel? Ermöglicht diese den Rechtsschutzversicherern die benannte Rechtsprechung des BGH zu umgehen?

Umgehen Rechtsschutzversicherer mit der Vorerstreckungsklausel die Eintrittspflicht?

Die oben zitierte Vorerstreckungsklausel soll dem Wortlaut nach, gezielt Fälle wie den geschilderten erfassen und damit den Rechtsschutz sowie die Rechtsprechung des BGH aushebeln. Die Versicherer konnten noch bis vor einiger Zeit die Kostenübernahme unter Vorlage dieser Klausel aufgrund der uneinheitlichen Rechtsprechung verweigern.

Vorerstreckungsklausel ist unwirksam

Zwischenzeitlich hat jedoch der Bundesgerichtshof die Wirksamkeit dieser Klausel abgelehnt (BGH, Urteil vom 04.07.2018, Az.: IV ZR 200/16). Die Begründung hierfür ist einleuchtend, wie nachvollziehbar.

Die Vorerstreckungsklausel verhindert nämlich, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss erkennen kann, was von seinem Versicherungsschutz umfasst ist. Aufgrund dessen ist die Klausel intransparent und somit nach § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB unwirksam. Das verbraucherfreundliche Urteil des Bundesgerichtshofs schafft zwar rechtlichen Schutz im Hinblick auf die Vorerstreckungsklausel, aber was bedeutet dies aber nun für die Regulierungspraxis?

Regulierungspraxis im Rechtsschutz

In der Regel sollte in solchen Fällen jede Rechtsschutzversicherung, spätestens nach Rechtskraft des aktuellen BGH-Urteils auf die Anwendung der Vorerstreckungsklausel verzichten. Die Klausel findet sich jedoch auch weiterhin in vielen Versicherungsbedingungen.

Vorerstreckungsklausel wird trotz BGH-Urteil weiterhin angewendet

Dies kann in der Praxis dazu führen, dass Rechtsschutzversicherer sich künftig dennoch auf die Klausel berufen und damit die Kostenübernahmezusage in einigen Fällen verweigern. Dies ist für den Versicherten äußerst unangenehm, da er nur noch über eine Klageerhebung an sein Recht kommt.

Schließlich vertrauen die Versicherer bei Verweigerung der Kostenübernahme oft darauf, dass der eigene Versicherungsnehmer auf die Richtigkeit der Begründung der Versicherung vertraut bzw. die aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht kennt.

Viele Versicherungsnehmer sehen zudem davon ab, die eigene Rechtsschutzversicherung vor Gericht zu zerren, da sie die Kosten hierfür selbst zu tragen haben – einen Rechtsschutz für sogenannte Deckungsklagen gegen Rechtsschutzversicherungen gibt es nämlich in der Regel nicht.

Tipp vom Anwalt zur Vorerstreckungsklausel

Es wird dringend empfohlen, sich nicht von der eigenen Versicherung mit der zweifelsohne unwirksamen Vorerstreckungsklausel abweisen zu lassen. Die Vorlage des Urteils des BGH aus dem Jahre 2018 kann da häufig schon helfen.

Im Zweifel wäre anzuraten, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, der die Deckungszusage bei der eigenen Rechtsschutzversicherung einholt und gegebenenfalls einklagt.

Damit es jedoch nicht zu Streitigkeiten kommt, wäre die sorgfältige Auswahl der Versicherungsgesellschaft vor Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrags empfehlenswert. Gute Versicherer werden erfahrungsgemäß nicht versuchen mit zweifelhaften Mitteln Kosten zu sparen.

Sprechen Sie Ihren Makler oder Versicherungsberater gezielt auf diese Klausel an und fragen Sie im Zweifel nach, ob die Versicherung im Rechtsschutzfall auf die Wirksamkeit der Klausel bestehen wird. Denn grundsätzlich ist die Rechtsschutzversicherung eine sinnvolle Versicherung.

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Ein Gast-Artikel von Rechtsanwalt Igor Posikow

Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Igor Posikow ist Inhaber einer Rechtsanwaltskanzlei in Hamburg. Ausgelegt ist die Kanzlei auf die Rechtsgebiete Verkehrsrecht, Vertragsrecht, Wettbewerbsrecht und Andere. Die Beratung und Vertretung durch die Kanzlei findet bundesweit statt. Durch die Bearbeitung und gerichtliche Vertretung zahlreicher verkehrsrechtlicher Fälle hat Rechtsanwalt Posikow umfassende Erfahrung im Umgang mit Versicherungsunternehmen vorzuweisen. Weitere Informationen können auf der Internetseite der Kanzlei eingesehen werden: www.kanzlei-posikow.de.